Johanna Kraus aus Stade

Bitte stell dich kurz vor!

Ich bin Johanna, 32 Jahre alt und komme aus Niedersachsen.

Was für Symptome hast du?

Lähmung/Tetraplegie, Spastik, ausgeprägte Muskelschwäche, Missempfindungen, chronische Fatigue, chronische Schmerzen, Wortfindungsstörungen, Sprachstörung und mehr.

Wie lange hast du schon Symptome?

Meine Symptome traten schleichend auf und wurden fortschreitend gravierender. Die ersten Symptome traten 2014 auf. Damals hatte ich immer mal wieder Schwäche in den Beinen, kam schlecht die Treppen hoch, hatte Missempfindungen und Sprachstörungen. Seit 2016 sind meine Beine gelähmt. 2017 hatte ich eine starke Verschlechterung aller Symptome. Seitdem bin ich fast komplett gelähmt.

Johanna im E-Rollstuhl, sitzt seitlich zur Kamera, lächelt in die Kamera. Drum herum sind Bäume, Tische, Stühle und ein Norddeutsches Fachwerkhaus. Auf dem Tisch steht ein Bier.
Johanna im E-Rollstuhl, sitzt seitlich zur Kamera und lächelt. Drum herum sind Bäume, Tische, Stühle und ein Norddeutsches Fachwerkhaus. Auf dem Tisch steht ein Bier. Im Hintergrund ist ein Parkplatz.

Sind deine Symptome schleichend, fluktuierend, permanent etc.?

Meine Lähmung ist permanent da und schreitet voran. Ich habe keine guten und schlechten Tage und die Symptome sind nicht beeinflussbar. Das einzige Symptom, das zwar immer da ist, aber in der Intensivität fluktuiert ist meine chronische Fatigue, der einzige Trigger ist da ganz klar körperliche Anstrengung. Darum ist Pacing sehr wichtig für mich.

Wann und von wem wurdest du diagnostiziert?

Ich habe bis heute keine offizielle Diagnose, weil ich nie richtig untersucht wurde und es bei mir auch keine positiven Anzeichen für eine FNS gibt. Vor 10 Jahren hatte ich eine psychische Erkrankung und es wurde ohne jegliche körperliche Diagnostik gleich eine dissoziative Bewegungsstörung diagnostiziert. Bei einem MRT in 2019 gab es zwar Auffälligkeiten, aber sie passten nicht direkt zur Multiplen Sklerose. Obwohl ich seit einigen Jahren psychisch gesund bin, wurde aus mir nicht ersichtlichen Gründen nicht weitergesucht.

Wie einschränkend ist deine Erkrankung? Hast du durch FNS eine Behinderung? Bist du pflegebedürftig?

Ich bin durch FNS sehr stark betroffen. Ich kann nicht sitzen, meinen Kopf aufrecht halten oder mit meinen Händen eine Tasse halten. Je nachdem, wie stark die Fatigue und Schmerzen sind, schaff ich es, wenn es gut läuft, alle zwei Wochen aus dem Bett und in meinen E-Rollstuhl. Ansonsten bin ich seit 2017 vollständig bettlägerig. Ich benötige bei Allem Assistenz und Pflege. Meine Mutter hat mich viele Jahre allein gepflegt. Seit gut eineinhalb Jahren nehme ich persönliche Assistenz im Arbeitgebermodell in Anspruch. Somit kann ich einigermaßen selbstbestimmt in meiner eigenen Wohnung leben und mir mein Assistentinnen-Team selber aussuchen. Ich habe eine anerkannte Schwerbehinderung und einen Pflegegrad.

Wie sind deine Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem?

Ich habe leider sehr schlechte Erfahrungen gemacht und habe viel medizinisches Gaslighting erfahren. Von Anfang an wurde ich von Ärzt*innen nicht ernst genommen. Diagnosen wurden eher geraten als fundiert gestellt. Häufig wurde ich von Ärzt*innen generell abgelehnt oder schnell wieder abgewiesen. Der Zugang zu einer gründlichen Diagnostik wurde mir verwehrt.

Bekommst du Therapien und wenn ja, welche? Hast du dadurch eine Verbesserung erfahren?

Zu Beginn meiner Bewegungsstörung war ich in Psychotherapeutischer Behandlung, das hat mir nicht geholfen. Unter großen Schwierigkeiten konnte ich eine Physio- und Ergotherapeutin finden, die zu mir nach Hause kommen. Eine Verbesserung meines Zustands findet dadurch aber nicht statt.

Warst du schonmal wegen FNS in stationärer Behandlung oder zur Reha?

Nein. Eine Reha in der Schmieder Klinik Konstanz wurde von der Krankenkasse abgelehnt, mit der Begründung, ich sei nicht rehafähig und ich könnte den gleichen Erfolg auch mit ambulanten Therapien erzielen.

Hast du Tipps für andere Betroffene, Angehörige oder behandelnde Ärzt*innen/Therapeut*innen?

Jedes Hilfsmittel, das den Alltag erleichtert oder Teilhabe ermöglicht ist gut! Mein E-Rollstuhl macht mich nicht „faul“, sondern mobil.


Bei Lähmungen und Spastiken ist Physiotherapie sauwichtig und zwar so früh wie möglich. Wenn sich die Füße erstmal verformt haben, wird es zusätzlich kompliziert.


Es hat mir ganz viel Stärke und Kraft gegeben, mich mit meiner Behinderung zu akzeptieren und zu achten. Ich finde es ist wichtig Grenzen zu setzen und das zu tun, was einem gut tut und zu lassen was einem schadet.


Ich habe für mich herausgefunden, dass Trauer über verlorene Lebensqualität und Lebensträume da sein darf und ihren Raum braucht. Was ich gar nicht leiden kann ist toxische Positivität. Wenn mir jemand mit Sätzen wie: „Du musst auch mal das Positive sehen!“ kommt, dann widerspreche ich dem mittlerweile vehement. Das hat nichts mit Selbstmitleid und Depression zu tun, sondern mit Klarheit und Selbstwahrnehmung. Ich habe meinen Humor nicht verloren und kann mich sehr wohl über Dinge freuen und herzhaft lachen. Humor hilft!

Stand 01/24